In this second and last piece of our hip hop casefile, we are having a look into the impact of rappers with Turkish descent upon the hip hop culture in Germany. This piece is penned by Verda Kaya, who has been working on the subcultures in Berlin and Istanbul since 1990s. From the meaning of hip hop for the youth with Turkish descent in Germany, to subcultures, belonging and identity issues; from resisting racism with rap and the socio-political effects of it… We are happy to share the piece in the language it was written, German with Turkish translation.
Written by Verda Kaya
Translated from German to Turkish by Ece Başokur Ekincioğlu
Edited by Nükhet Polat
Intro and English translation: Sedef İlgiç
Cover Visuel: Kool Savaş © Eric Ullrich
Vor 40 Jahren ist die HipHop-Kultur in Deutschland angekommen und für viele deutschtürkische Jugendliche wurde HipHop zur wichtigsten Jugendkultur. Deutschtürkische Jugendliche streamen wie auch andere Jugendliche in Deutschland mit ihren Handys und Computern die neuesten Rap-Songs. Sie „liken“, sie kommentieren und erstellen ihre Playlists. Sie sind aktiv im Breakdance, im Graffiti, als Rapper oder als Produzenten von Rap-Musik. Einige von Ihnen sind sehr erfolgreich in der deutschen Musikindustrie.
Bis in die Mitte der 1990er Jahren dominierten zwei Stile die Rap-Kultur in Deutschland: Der eher unpolitische Mainstream-Rap von Rappern deutscher Herkunft und der politisch sehr stark gegen Rassismus auflehnende Rap von Kindern von Migranten, wie bei Cartel, Microphone Mafia und Islamic Force.
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre wurde zunehmend Battle Rap ein prägender Stil. In ihren Songs und auf der Bühne ging es den Rappern nun darum, mit vulgären und aggressiven Texten, den Gegenüber zu „bekämpfen“ und den Battle zu gewinnen. Der führende Vertreter dieses Genre war Kool Savaş, der diesen Stil zum Mainstream machte. Seitdem erscheinen Songs und Videos, in denen verbal gewalttätig „gedisst“ wird, also wo ein Rapper einen anderen verbal angreift. 2009 wurde Kool Savaş, dessen Vater aus der Türkei stammt, von der renommierten HipHop Zeitschrift Juice zum besten MC Deutschlands gewählt. Er gilt noch heute als einer der einflussreichsten Rapper Deutschlands.
Eine weitere führende Rap-Richtung ist der Gangsta-Rap, der wie der Battle-Rap noch heute besonders verbreitet ist. Auch hier waren und sind Rapper erfolgreich, deren Eltern aus der Türkei eingewandert sind.
Digitalisierung und Internet
Die globalen Entwicklungen der Rap-Musik und die veränderten technischen Möglichkeiten haben den Rap in Deutschland stark verändert. Die Digitalisierung und auch das Internet bieten den HipHop-Aktivisten unzählige Möglichkeiten. Dank YouTube, TikTok, und anderen Internetseiten und den Audio-Streaming Diensten wie Spotify und Soundcloud haben Menschen Zugriff auf Musik, die früher nicht als Platte oder Kassette veröffentlicht worden wären. Jugendliche bekommen Informationen zu Rappern, die noch keinen kommerziellen Erfolg haben und sehr wahrscheinlich auch nie haben werden.
Tutorials im Internet, die Möglichkeiten des eigenen Computers mit günstigen oder gar kostenlosen Apps und Software tragen dazu bei, dass Jugendliche lernen, selbst Musik zu produzieren. Das Internet hat die klassische Unterteilung in Underground und Mainstream längst aufgebrochen. Unabhängig von der sozialen und ethnischen Herkunft können somit Jugendliche selbst aussuchen, welche Rapper sie anhören möchten und allein am Computer selbst Rap-Musik produzieren.
Dies hat dazu geführt, dass es inzwischen viele musikalischen Stile innerhalb der Rap-Musik gibt und dass unzählige Songs und Videos im Internet kursieren. Einzelne Rapper sind nicht immer einem bestimmten Genre zuzuordnen. Dies kann bei einem Rapper von einem Song zu einem anderen variieren. Auch ein einzelner Song kann ein Gemisch auf verschiedenen Subgenres sein.
Multiple Zugehörigkeiten
Hier stellt sich die Frage, wie deutschtürkische Rapper in diesen vielfältigen Möglichkeiten ihre Zugehörigkeiten ausdrücken und wie sie wahrgenommen werden.
Wichtig ist zu erwähnen,
dass seit dem Erfolg von Kool Savaş generell Rapper als deutsche Rapper gelten, auch wenn ihre Eltern aus einem anderen Land eingewandert sind. Die Einteilung zwischen „deutscher Rap“ von „Rap von Migranten“ wird längst nicht mehr gezogen wie in den 1990er Jahren. Ein Rapper aus Deutschland ist ein deutscher Rapper. Sind die Eltern aus einem anderen Land eingewandert oder der Rapper sogar selbst, so wird diese Information zusätzlich erwähnt.
Lokalität
Im Gegensatz zu anderen Musikrichtungen ist es in der Rap-Musik sehr wichtig, die Zugehörigkeiten und gesellschaftliche Positionierungen in ihren Song-Texten auszudrücken. Wie bereits erwähnt, gelten in der HipHop-Szene alle Rapper aus Deutschland als deutsche Rapper, unabhängig der ethnischen Herkunft. Der Wohnort, und bei einigen Rappern auch zusätzlich der Bezirk, sind wichtige Bezugspunkte in der Zugehörigkeit. Je größer das Ansehen des Wohnortes, desto mehr wird dieser erwähnt. Insbesondere der Berliner Bezirk Kreuzberg ist ein besonderes Kriterium für glaubhaften Rap, der stets im Rap oder in Interviews erwähnt wird. Der bekannteste Vertreter der Rap-Musik aus Kreuzberg war und ist noch heute Killa Hakan. Auch in der Türkei erwähnt er in erster Linie seine Zugehörigkeit zu diesem Bezirk.
Szenen in den Videoclips unterstreichen die lokale Zugehörigkeit der Rapper. Unabhängig der ethnischen Herkunft nutzen Rapper Aufnahmen von städtischen Wahrzeichen wie der Kölner Dom oder der Berliner Fernsehturm. Rapper, die ihre „Ghetto“-Herkunft hervorheben, lassen sich für ihre Videoclips in ihrem „Ghetto“ filmen.
Musikalischer Vielfalt
Noch in den 1990er Jahren verwendeten deutschtürkische DJs türkische Platten in ihren Songs. Die Einteilung der Genres war damals noch sehr einfach. Die Musik von deutschtürkischen Rappern wurde pauschal als Oriental HipHop bezeichnet.
Heute sind kaum noch türkische oder orientalische Elemente in der Musik zu finden. Auch Rapper, die ihre türkische Herkunft in ihren Texten betonen oder in ihren Videos die türkische Flagge zeigen, nutzen kaum türkische musikalische Elemente. Stattdessen dominieren Cloud Rap, Trap, ein poppiger Stil, und andere zahlreiche Subgenres der Rap-Musik die Szene. Dabei lassen sich Rapper nicht immer eindeutig als Vertreter einer bestimmten Musikrichtung kategorisieren. Auch einzelne Songs können Mischungen aus verschiedenen musikalischen Stilen sein.
Vielfalt an Sprachen
In der Rap-Musik steht der Text im Vordergrund. Der Rapper muss sprachlich gewandt sein, sich gut ausdrücken können und mit der Sprache, dem Klang und der Bedeutung spielen können. Für junge deutschtürkische Rapper ist es selbstverständlich, auf Deutsch zu rappen, auch wenn sie in ihren Texten die türkische Herkunft betonen. Nur wenige Rapper wie Killa Hakan und Aziza A. und Erci E. besitzen die Kompetenz, sich gut im Türkischen auszudrücken. Diese Rapper sind noch aus der zweiten Generation der Einwanderer aus der Türkei.
Die bekannten und beliebten Vertreter der türkischsprachigen Rap-Musik kommen heutzutage direkt aus der Türkei. Ceza ist auch unter Menschen deutscher Herkunft ein anerkannter und beliebter türkischsprachiger Rapper.
Seit den 1990er Jahren nutzen deutschtürkische Rapper Wörter aus der türkischen, englischen und deutschen Sprache. Heutzutage ist es für sie selbstverständlich, auch einzelne arabische Wörter einfließen zu lassen. Denn inzwischen gehören auch arabischstämmige Rapper zu den erfolgreichsten Rappern Deutschlands. Die Sprachvielfalt im Rap ist einzigartig und verdeutlicht die kulturelle Vielfalt von Rap-Musik und ihren Vertretern.
Rassismus im Rap
Rap galt und gilt als Sprachrohr der Unterdrückten, als Musik von Minderheiten, die sich gegen Ungerechtigkeiten ausdrücken. Als in Deutschland die Mauer fiel und der Rassismus gegen Minderheiten zunahm und in Brandanschlägen Menschen umkamen, war Rap-Musik ein wichtiges Mittel, sich gegen Rassismus auszudrücken.
Die NSU-Morde und der Anschlag in Hanau zeugen weiterhin von der Brutalität des rechten Terrors. Dennoch haben diese Ereignisse die Rap-Szene und die Rap-Musik nicht in dem Maße geprägt wie nach den Anschlägen in den 1990er Jahren. Es sind eher vereinzelte Songs, in denen gegen Rassismus gerappt wird. Eine Ausnahme ist hier Eko Fresh, der seit Jahren mal mit politisch korrekter Sprache mal mit sexistischer aggressiver Sprache gegen Rassismus rappt.
Rap-Musik ist ein Pool geworden, in denen Zugehörigkeiten kommuniziert und ausgelebt werden- es ist eine Musik, in denen Images von Gangster oder Härte, von Reichtum in Form von teuren Autos ausgelebt werden.
Deutschtürkischer Rap und die Gesellschaft
Der politische Rap aus den 1990er Jahren hat auf dem ersten Blick keinen politischen Einfluss gehabt. Keine Maßnahme oder Gesetzesänderung fand aufgrund von irgendeinem Song statt. Allerdings sind mit Rap-Musik deutschtürkische junge Menschen sichtbar geworden.
Allein die Tatsache, dass Menschen unterschiedlicher Herkunft als deutsche Rapper gelten und professionell in diesem Geschäft erfolgreich sind und das HipHop-Aktivisten ihre eigenen Strukturen und ihre Labels aufgebaut haben, zeigt einen Wandel, der sicherlich in anderen Bereichen nicht in diesem Maße so selbstverständlich ist. Und der Erfolg ist beträchtlich: Der Song „Roller“ von dem türkischstämmigen Apache 207 wurde inzwischen bei YouTube über 130 Millionen Mal angeklickt, millionenfach seine neueren Videos. Und auch Veysel, dessen Eltern aus der Türkei stammen, erobert die Charts.
Mit ihrer Musik sind deutschtürkische Rapper in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es fällt allerdings auf, dass seit vielen Jahren deutschtürkische Rapper mit einem Gangster-Image oder brutalen und sexistischen Texten besonders erfolgreich sind. Hier könnte die Frage gestellt werden, wie weit mit der Rap-Musik gesellschaftliche Barrieren überwunden werden oder ob Vorurteile und das negative Image von Deutschtürken durch den Gangsta- oder Battle-Rap bestätigt wird.
Doch den Jugendlichen aus der Rap-Szene ist dies egal. Der Rap muss cool sein. Auch Gymnasiasten mit deutscher und mit nicht-deutscher Herkunft finden diese Musik und das Spiel mit dem Gangsta-Image und den pornographischen Texten gut. Ob der Rapper sich Kollegah nennt und in Wirklichkeit Felix Blume heißt oder ein Rapper unter dem Namen Haftbefehl bekannt wird und in Wirklichkeit Aykut Anhan heißt: Beide vertreten in erster Linie den deutschen Rap.
Wichtig sind Kompetenz und der authentische Auftritt. So lassen sich gesellschaftliche Grenzen von den „guten Deutschen“ und den „kriminellen Ausländern“ in der Rap-Szene nicht ziehen. Meines Erachtens kann eher zwischen den Generationen von Rappern eine Grenze gezogen werden. Viele der ersten Generation der HipHop-Aktivisten, die mit den Idealen der HipHop-Kultur groß geworden sind und mit politisch korrekten Texten gegen Rassismus rapten, bedauern den starken Erfolg von der sexistischen und aggressiven Rap-Musik.
Es kann nicht vorhergesagt werden, in welche Richtung sich Rap-Musik entwickeln wird. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass Deutschtürken weiterhin mit ihren Strukturen, ihrer kulturellen Kompetenz und der transnationalen Bindung zwischen der Türkei und Deutschland die Rap-Musik mitgestalten werden.
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Dr. Verda Kaya ist in Berlin aufgewachsen. Als Ethnologin und Kulturwissenschaftlerin arbeitet sie seit 1990er Jahren zu Subkulturen in Berlin und Istanbul. Ihre Doktorarbeitet schrieb zu dem Thema HipHop in Berlin und Istanbul. Inzwischen arbeitet sie als Kuratorin und hat den HipHop-Bereich in der Berlin Global Ausstellung im Humboldt Forum kuratiert.
Als Kuratorin der Çağatay-Ausstellung „Bizim Berlin“ im Stadtmuseum Berlin war sie unter anderem für die Einbeziehung von HipHop-Aktivisten in die Ausstellung zuständig.
Weitere Veröffentlichungen von Verda Kaya zu HipHop: